So sehr man die WM mit ihren infantilen Massenneurotikern links liegen lassen möchte, es mag einfach nicht gelingen. Den Wahn nicht einmal zu ignorieren wäre möglicherweise die adäquate Form der Kritik.
Dass Afrikas Fussballteams Feticheure mit Segens- und Schadenszaubern beauftragen, ist für Eingeweihte eine Bagatelle. Irgendwie könnten sich Kulturrelativisten bestätigt fühlen, wenn sie die BILD vom 20.6.2005 in die Finger bekommen haben. „Schamane hext gegen Klinsi“ reißt die Schlagzeile und hat man nicht gesehen: „ER hat den Gegenzauber“. Nein, nicht Ahmadinedschad und auch nicht Hitler, sondern „Voodoo-Experte Günther Schwartz (67) hat einen Gegenzauber ausgesprochen. In der linken Hand hält er einen Schrumpfkopf.“ Dem man übrigens auf 100 Meter Entfernung ansieht, dass er aus Ziegenhaut gefälscht wurde. Aber flauer Grusel muss sein, schließlich lockt im Unheimlichen das Altbekannte. Morgen wird sicher nicht nur in der Bild stehen, dass Schwartzens Zauber an drei Toren der deutschen Elf schuld ist, man wähnt sich medial in der Elfenbeinküste oder im Kongo, wo derartige Zeitungsmeldungen keine Sensationszeile, sondern unter Tagesgeschehen und Lokalpolitik laufen.
Das Fußball gewordene allgemeine Bedürfnis nach Authentizität schlägt gerne auch gegen sein eigentliches Ziel los:
Als beim 2:0 gegen Tschechien der in Israel spielende Ghanaer John Pantsil seiner israelischen Fangemeinde mit einer winzigen Israelflagge seine Referenz erwies, beschwerten sich laut BILD prompt ein paar Arabisten und Mullahs beim ghanaischen Fußballverband GFA. Und aus welchem Grunde auch immer möchte es Ghana sich mit Ahmadinedschad inc. nicht verscherzen: „Das Zeigen der Fahne war eine naive Aktion. [sic!!!] Wir sind hier um Fussball zu spielen, und nicht um politische Statements abzugeben.“ So hetzt Ghanas Pressesprecher Randy Abbey. „Wir haben mit ihm gesprochen und ihm klar gemacht, dass wir das nicht mehr möchte. Er hat es eingesehen.“ Und Fifa-Sprecher Markus Siegler ist die Angelegenheit ein kleines bisschen peinlich, großzügig erklärt er: „Wir wollen nicht so kleinlich sein.“
Flagge zeigen ist also eine politische Aktion, während geschätzte 100 Millionen Flaggen Deutschlands neues Patriotismus-ist-ok-Gefühl exhibitionistisch zur Schau stellen. Hätte Israel sich zur WM qualifiziert, was dann? Spiele mit Israel verbieten? Weil die arabisch-islamischen Herrenländer beim Anblick Magengeschwüre bekommen? Oder gleich alle zionistisch-jüdisch korrumpierten Spieler ausschließen? Was ist mit den Spielern aus den Niederlande von Ajax Amsterdam, die sich einen Davidsstern tätowieren ließen? Oder mit der „Yid-Army“, einer kleinen britischen Fan-Gemeinde? Am besten als wandelnde „politische Aktion“ vom Rasen und aus den Tribünen, wenn es nach den „Freunden“ geht.
Es kann nicht weiter verwundern, wenn antisemitische „Ausfälle“ ein Fest bei Freunden von Antisemiten prägen. Bemerkenswert ist dann doch, dass außer der BILD, gerade der patriotisch-revoluzzerischen Satirepostille mit oben beschriebenen Authentizitätsknacks, kein Mensch sich darüber aufregt und alles normal ist, obwohl doch Antisemiten mal eben schnell per Telefonat das Symbol des jüdischen Staates verbieten lassen. Wozu ist man zu Gast bei Freunden…
Ahmadinedschad ist schon da, Ahmadinedschad ist Deutschland. Und Ghana auch. BILD komischerweise auch.
Ein ausführlicherer Beitrag auf Lizas Welt