Verschwörungstheorien
Rezension:
Jürgen Roth und Kay Sokolowsky: „Der Dolch im Gewande – Komplotte und Wahnvorstellungen aus zweitausend Jahren.“ Hamburg 1999, KVV konkret. 284 Seiten, 11,66 €.
Verschwörungstheorien sind wie Motten. Sobald irgendwo ein Totenlichtchen angezündet wird, schwirren sie darum herum als gäbe es keine anderen Probleme mehr.
Jürgen Roth und Kay Sokolowsky wagen einen Versuch der ganz anderen Art, das Bedürfnis nach Verschwörungstheorien zu erklären. In einer recht skurrilen Artikelsammlung klären sie in brillantem Stil die psychologischen Hintergründe, die den Hunger nach einer übermächtigen Ordnung schüren. Die Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit, die den Kleinbürger erfüllt angesichts seiner Unfähigkeit, sich in der aufgeklärten Welt zurechtzufinden, erzeugt seinen Hang, alles Schlechte auf eine an Macht immens reichere und moralisch niedrigere Kategorie zu schieben, die eben doch zuletzt auf „die Juden“ hinausläuft. Der Antisemitismus ist in Verschwörungstheorien inhärent, wie der Antisemit sich selbst und die Welt im Würgegriff wähnt, und jeden Furz auf den Jahrtausende alten Plan einer höheren Macht zurückführt. In der Konsequenz wähnt er sich als schlauer, da er ja die Konspiration durchschaut, verleugnet also in seiner angeblich aufgezwungenen Tatenlosigkeit seine Subjekthaftigkeit, die lebhaft an den Vorgängen, die diese Welt mitgestalten mitwirkt. Sein Eklektizismus ist dabei zwanghaft im Wahn, ein Opfer, einen Schuldigen zu finden, für das, was er sich selbst und anderen antut. Um sich gegen die Allgegenwärtigkeit der Verschwörung zu wehren muss er zu allen Mitteln greifen, wähnt sich als Einzelkämpfer im Namen des Besseren und tendiert zur maßlosen Geschichtsfälschung ebenso wie zur Raserei.
Roth und Sokolowsky beschreiben einerseits bildhaft die Fähigkeit der VerschwörungstheoretikerInnen jede krude Gehirnflatulenz, aber auch jede, zu glauben, machen deutlich, wie leicht das gelogene Wort, sobald es gedruckt ist, Anhänger findet und basteln aus dieser Kenntnis heraus auch gerne mal eine Verschwörungstheorie im Selbstbausatz. Wie leicht kann anhand der Numerologie Franz Beckenbauer in Luzifer und den apokalyptischen Reitern seine Anthropomorphie finden, mit welcher Leichtigkeit findet aber genau die gleiche Methode vor einem halben Millionenpublikum keinerlei Anstoß, wenn etwa der Führer der Nation of Islam, Louis Farrakhan, vor dem Washington Monument (555 fuß) seine Blödheit beweist und statt den Kommunismus einzufordern seine 500 000 Gefolgsleute zu Sühne aufruft, weil diverse Zahlenspielchen mit 555 und 19 Hinweise darauf ergeben, dass Allah ein neues Zeitalter ausruft.
Dass Verschwörungen begangen werden steht für die Autoren außer Zweifel und zahlreiche stellen sie selbst zur Debatte, in derb-ironischem Gestus. Verschwörung als Hobby und als alleinigen Laienforschungsgegenstand zu erwählen, erweist sich aber als ebenso wahnhaft wie gefährlich, waren doch Verschwörungstheorien, beispielsweise die Protokolle der Weisen von Zion ihrerseits Verschwörungen von Antisemiten.
Die Personalisierung einer alles durchdringenden Macht in Verbindung mit esoterischer Selbstüberschätzung und religiöser Heilsideologie stellt eine brisante Mischung dar, die insofern beängstigend ist, als sie durch Internet und „freie“, besser willige Presse, monströse Blüten getrieben hat. Gegen alle diese im Einzelnen vorzugehen halten die Autoren zu Recht für unnützen Zeitvertreib, sie belassen es bei einer formenreichen Bilanz, in der die meisten Schlüsse dem Leser überlassen bleiben. Schließlich zeugt es von ausgemachter Einfältigkeit, Ereignisse von vor sechshundert Jahren einem imaginierten Schuldkollektiv anzukreiden, um es aktuell demselben konstruierten Kollektiv in die Schuhe zu schieben und es aktiv dafür haftbar zu machen. So denken und handeln traditionell Antisemiten, und daher ist Verschwörungstheorie des Antisemitismus stets äußerst verdächtig.
Man erhält mit dem Buch weder eine wissenschaftliche Auflistung noch eine psychologische Analyse, dafür aber einige klare Argumente und einen lustigen Zeitvertreib. Zwar ist der Stil des Buches etwas gewöhnungsbedürftig, was seiner Unterhaltsamkeit keinen Abbruch tut, aber nur konsequent in seiner unvollständigen, fragmentarischen Diversität.
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