Gibt man bei Google die Begriffe "Psychoanalyse" und "Käse" ein, erscheint an zweiter Stelle eines jener für den psychotischen Bauchlinken typischen großmannssüchtigen Pamphlete, eine "ironische Verfassungsklage" gegen die Psychologie. Nebst anderem wirren Kram heißt es:
Die Psychoanalyse (Sigmund Freud) ist neben Das Kapital (Karl Marx) und Der Hexenhammer (Spenger / Institoris) das schlimmste Übel, das je über die Menschheit gebracht wurde. Die Fachleute der Indoktrination sind Psychologen. Sucht nach den "Fachleuten der Gehirnwäsche", aber sucht sie nicht in den Religionen, dann kennt ihr die Selbstmordattentäter von New York, Madrid und London!
Allein, um solche Beiträge in den Google-Rankings ein bisschen nach hinten zu drängen, lohnt es sich, das Phänomen Käse einmal genauer zu betrachten.
Lévi-Strauss berichtet, dass nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Jahre 1944 amerikanische Soldaten (die die Kategorie des Verfaulten offenbar enger faßten als die Franzosen) zuweilen Käsefabriken zerstörten aufgrund des "Leichengeruches", den diese, wie sie sagten, ausströmten.
Verfaultes zu essen ist mithin verpönt, und das Faszinosum Käse damit gegründet. Als Kind lauscht man noch erfürchtig den Geschichten von Wüstennomaden, die eine Ampore mit Milch vergraben und ein Jahr später als Käse ernten. Der Ekel, der aus dem Wissen um einen Verfallsprozess entsteht, wird im Lauf der Zeit umgewandelt in eine Vorliebe, die obsessive Ausmaße nehmen kann. Vorerst aber noch ein kleiner Schwenk zu einem scheinbar völlig anderen Phänomen:
Viele Afrikaner hielten und halten die Europäer für Vampire, die unschuldigen Afrikanern das Blut aussaugen, und ihr Fleisch essen.
Im Kongo hatte eine ahnungslose europäische Firma vor kurzem Büchsenfleisch in Dosen angeboten, auf denen gutgenährte strahlende afrikanische Babys abgebildet waren. Diese Produkt war kein Verkaufsschlager!
Eine ganz ähnliche Reaktion erfolgte, nachdem in Nordrhodesien billiges Dosenfleisch mit der Aufschrift "For African Consumption" auf den Markt gekommen war. [...] Die in Nordrhodesien und Njassaland lebenden Afrikaner befürchteten, daß mit der geplanten Föderation das in Südrhodesien bereits bestehende Muster einer Herrschaft der Weißen auch auf ihr Territorium ausgedehnt und daß insbesondere das in ihrem Eigentum befindliche Land von weißen Siedlern in Beschlag genommen werden könnte. In dieser Atmosphäre verbreiteten sich bald Gerüchte, die Büchsen mit der Aufschrift "For African Consumption" enthielten Menschenfleisch, das eigens zu dem Zweck zubereitet worden sei, um den afrikanischen Widerstand gegenüber der unpopulären Politik einer Föderation zu brechen. Ein europäischer "District Commissioner" verzehrte öffentlich dieses Fleisch, um so die Befürchtung zu zerstreuen und zu demonstrieren, daß es harmlos war. Paradoxerweise hatte dieses Schauspiel jedoch den Effekt, die Überzeugung der Afrikaner, die Europäer seien Kannibalen, eher zu bestätigen als zu widerlegen.
(Lewis, Ioan M. 1989. Schamanen, Hexer, Kannibalen. Die Realität des Religiösen. S. 94)
Vor dem Hintergrund des unbewussten Wissens dieser Afrikaner um psychologische Wirkungsmechanismen von Werbung und nach der Filmlektüre von "Hannibal the Cannibal" erscheint auf einmal ein harmloses Supermarktregal in völlig anderem Licht:

Mag der notorische Cunctator noch zweifeln, ob die These, hier würden kannibalistische Regungen im Käufer angesprochen, nicht allzu steil ist, so wird er durch eine genauere Analyse des Badejungen rasch eines Besseren überzeugt: Der "Rügener Badejunge", mehr einer Berufsbezeichnung ähnlich denn Markenname, mit Ring und Schiff im Porträt vermag den Kunden noch darüber zu täuschen, dass der verschimmelte Käse eigentlich ganz jung und knackig ist. Möglich aber auch, dass durch den kannibalistischen Verzehr des Rügener Badejungen dessen Qualitäten (Jugend und Unschuld) sich auf den Konsument übertragen sollten. Es ist ein bekanntes Stereotyp barbarischer Kultur, dass durch den Verzehr des Herzen oder des Hirnes eines Feindes wie auch des Tieres dessen Eigenschaften auf ihn übergehen sollen: Mimesis durch Aufessen, wahlweise auch durch den sexuellen Akt.
Mehr davon erzählt die Rotkäppchen Werbung, die ob des großen Bildes leider nur über den Link zu erreichen ist. Kurz anschauen und nachdenken! Was zeigt das Bild? Zunächst scheinbar eine Szene aus dem Grimm-Märchen Rotkäppchen und der böse Wolf. Der böse Wolf, ödipale Tiergestalt, frisst die schwache Großmutter um das unschuldige Rotkäppchen zu verführen. Der Jäger greift als positive Seite der ambivalenten Vaterfigur ein, und schnipp schnapp, rumpumpelt der kastrierte Wolf im Brunnen. Im Illustrationsduktus des 19. Jahrhunderts hebt das brave Rotkäppchen keck mahnend dem Wolf, der ihr halb unter den Rock schaut, den Zeigefinger entgegen.
Der Werbeclip dagegen zeigt ein erwachsenes, "gereiftes", Rotkäppchen als Verführerin. Eine Stimme haucht zum Schriftzug: "Weil ich ein Märchen bin." Märchen und Mädchen sind gleichgesetzt, und man könnte ebensogut denken, der Spruch versucht Rotkäppchens offensichtliche Heiratsfähigkeit in diesem Clip zu unterdrücken: In Wirklichkeit wird die Erotik nur stellvertretend vom legalen Objekt ausgestrahlt. Das kleine Mädchen kommt nicht vor, und ist doch gemeint. Der böse Wolf ist durch den ganzen Zauber entschuldigt, er darf Rotkäppchen fressen, schließlich wird er dazu verführt. Auf der Verpackung bleibt jedoch das Markenzeichen, das kleine Mädchen, das am alten Käse, bekanntlich ungenießbare, verfaulte Milch, schleckt oder nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen geführt hat, um über einen sinngewaltigen Satz von Adorno nachzudenken, den es der Großmutter erzählen will.
Babybel fügt dem nur ein weiteres hinzu, hier muss man nur mit dem Nippel an der Lasche ziehn und schon entblößt sich der Babykäse, klein und jung, zum Verzehr bereitet.
Hare krishna merkt von alledem nichts und macht auf der Website merkwürdigerweise ganzseitig Werbung für Rotkäppchenkäse, mit einem kurzen Hinweis auf die gesunde vergetarische Ernährung. Zufall? Oder wird die Fleischeslust der Vegetarier in Orange hier besonders stimuliert?
Und der Sarotti-Mohr? Laut Wikipedia wurden 2004 alle Sarotti-Produkte umfangreich neugestaltet und aus Gründen der politischen Korrektheit trägt der Mohr seither kein Tablett mehr und heißt nun Sarotti-Magier der Sinne. Statt sklavisch zu dienen, hat er sich nun in parapsychologische Parallelwelten geflüchtet. Nun ist ihm das Bereiten von Sinnesfreuden bei europäischen Kannibalen ganz freiwillig in Fleisch und Blut, pardon, Kakao und Milch, übergegangen.
Wer meint, dies sei ein merkwürdiger Zufall, eine Zumutung, ein absolutes Hirngespinst der Psychoanalyse, sollte sich die Eucharistie und das Verhältnis von Sexualität und Kannibalismus in der christlichen Kultur einmal genauer ansehen und bezeichnend dazu ist folgender Text:
Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sagte zu ihnen: Amen, Amen, das sage ich euch. Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.
(Johannes, 6,52)